Test: Mikrofone Teil 24

Eigentlich wollte ich schon im Spätherbst des letzten Jahres einen zweiten Mikrofontest anberaumen, denn das Marktangebot mit immer neuen, zum Teil auch wirklich spannenden Entwicklungen scheint uns ständig auf den Fersen zu sein. Manchmal ist so eine ‚Party mit vielen Gästen‘ aber einfach sehr schwer zu organisieren, weshalb ich den Test immer wieder vor mir herschieben musste. Jetzt nun endlich – Termin 16. Januar, hatte ich mein Testportfolio zusammen, wieder deutlich umfangreicher, als man eigentlich an einem Tag schaffen kann. Aber Klaus-Dieter Keusgen und ich haben mittlerweile, nach 24 Terminen im 22. Jahr der Testreihe, eine Routine entwickelt, die uns ein solches Mammutprogramm ermöglicht. Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass ich in meiner Regie mit den Aufnahmen vom Testtag nochmals einen ganzen Tag mit Hören verbringe. Kurzer Szenenwechsel – wie man im Netz manchmal Dinge durch Zufall entdeckt, lief mir neulich ein Video-Interview mit Al Schmitt über den Weg. Man kann ja mal reinschauen, dachte ich, und schon war eine fesselnd spannende Stunde vorbei. Bekanntlich arbeitet Al Schmitt bei seinen Projekten konsequent ohne EQ und Dynamikbearbeitung, seine Equalizer sind die Mikrofone – und damit sind wir auch schon beim Thema. Eine Tüte voll Mikrofone ist eine Tüte voller unterschiedlicher Farben, egal, ob Groß- oder Kleinmembran. Es war schon sehr weitsichtig, diese Serie mit ‚das letzte große Abenteuer‘ zu titeln. Es ist eines, jedes Mal aufs Neue.

Während der Hörsession in meiner Regie machte ich eine interessante Beobachtung: Durch meine 5.1 Konfiguration erscheint die Stereo-Phantommitte genau im oder am Center-Lautsprecher, wo ich glaube, die Signale praktisch in ihrer Form und Ausbreitung sehen zu können. Was ich da ‚sehe‘, ist nicht so leicht zu beschreiben – aber es ist eine mehr oder weniger scharfe Kontur und Dreidimensionalität, aber auch Distanz, die ich optisch wahrnehmen kann. Daraus lassen sich tatsächlich Qualitätsparameter ableiten. Je deutlicher und müheloser erkennbar zum Beispiel eine Stimme vor mir sichtbar wird, praktisch mit einer klaren Form und Abgrenzung, desto natürlicher klingt das Signal und desto überzeugender bildet das Mikrofon ab. Die Skala reicht von ‚belanglos distanziert und formlos‘ bis zu ‚plastisch vorne am Rande der Stereobühne‘. Ein solches Signal wird sich in einer Mischung immer durchsetzen, denn es ist nicht flach wie ein Blatt Papier, sondern hat eine Form mit Breite und Tiefe. Das eigentlich Verblüffende daran ist, dass wir hier von Mono-Signalen sprechen, die eigentlich per Definition keine räumliche Ausbreitung haben sollten. Wahrscheinlich funktioniert das auch nicht mit jedem x-beliebigen Lautsprecher in jedem x-beliebigen Raum, weshalb ich sehr glücklich bin, hier im Verlag auf diesem Niveau hören zu können.

Die freundliche Kontaktvermittlung durch den Schweizer Musiker Roland Sumi-Mestre brachte mich zum ersten Mal mit Christoph Heule in Verbindung, der in der Schweiz Mikrofone entwickelt und von Hand fertigt. Das CH1 ist sein derzeit aktuelles Mikrofonprojekt, ein Großmembran-Mikrofon mit fester Nieren-Charakteristik, das aber auch in einer umschaltbaren Variante erhältlich ist. Es freut mich ungemein, dass Andrew Myburgh mit seinem M1 Röhrenmikrofon so erfolgreich in den Markt einsteigen konnte. Nachdem er aus urheberrechtlichen Gründen seine Firma von Burg Microphones zu Myburgh Microphones umbenennen musste, wird nach meinem Geschmack noch viel deutlicher, dass diese Mikrofonentwicklung ein persönliches Herzensprojekt ist. Mit drei Mikrofonen der Alchemy-Serie, TF39, TF47 und TF51, haben wir drei neue Sterne am Mikrofonhimmel entdeckt, die von Telefunken USA stammen, in Deutschland durch Klemm Music vertreten. Telefunken hat hier versucht, die Signatur eines klassischen Vintage-Klangs in bezahlbarer Form zu realisieren. Ein weiterer Vintage-Vertreter ist mit dem Chandler TG am Start, den wir vom deutschen Vertrieb S.E.A. zur Verfügung gestellt bekamen. Der amerikanische Hersteller Vanguard Audio Labs hat sich zur Aufgabe gemacht, professionelle Qualität zu einem Preis anzubieten, der die Bank nicht gleich in einen Alarmzustand versetzt. Der deutsche Vertrieb For-Tune, namentlich mein alter Freund Stefan Mayer, brachte mir ein Matched Pair V1 persönlich vorbei. Das Set besteht aus zwei Mikrofonvorverstärkern, die wahlweise mit fünf verschiedenen Kapseln bestückt werden können – eine davon ist eine Großmembrankapsel, weshalb das V1 Set hier in einem Atemzug mit den Großmembrankandidaten genannt wird. An dieser Stelle wechseln wir in die Kleinmembranabteilung und erwähnen zunächst das V-Serie-Set, bestehend aus dynamischen Mikrofonen, die speziell für die Abnahme von Schlagzeug entwickelt und abgestimmt wurden und in der Konsequenz ‚fertige‘ Signale liefern, sowohl auf der Bühne als auch im Studio. Unser V-Serie-Set bestand aus V Kick (das muss man nicht erklären), V Beat, einem Spezialmodell für Snare und Toms, einem V7 X Instrumentalmikrofon und einem Matched Pair sE8 Kondensator-Mikrofonen als Overhead-Besetzung (wir hatten anderes damit vor). Mit dabei war auch ein Pärchen Rode TF-5, geliefert vom deutschen Vertrieb Hyperactive. Nachdem Rode, der Mikrofonspezialist aus Australien, sehr viele preisattraktive Modelle in seinem Portfolio führt, kommt mit dem TF-5 nun ein Premium-Produkt, das in Kooperation mit dem bekannten britischen Klassiktonmeister Tony Faulkner entstand, was auch die Modellbezeichnung erklärt. Von Mega Audio, dem deutschen Vertrieb für Produkte von sE Electronics, erhielten wir außerdem ein Matched Pair RN17 Kleinmembran-Mikrofone, die in Zusammenarbeit mit Rupert Neve entstanden. Das RN17 ist nach dem RNR1 Bändchen das zweite Kooperationsprojekt des chinesischen Herstellers mit der lebenden Legende Rupert Neve. Das Mikrofon hat eine etwas eigenwillige Form, aber irgendwo musste der handgewickelte Übertrager, den Rupert Neve konzeptionell erdachte, ja schließlich untergebracht werden. Nur zufälliges Schlusslicht bildet ein Pärchen WA-84 des US-amerikanischen Herstellers Warm Audio, der, wie die Modellbezeichnung verraten mag, das Neumann KM84 als ‚inspirative Quelle‘ nutzte.