Interview: Gerd Jüngling, ADT-audio

Das folgende Interview wurde unter der Überschrift ‚Kleine Lehrstunde‘ im Studio Magazin 01/12 veröffentlicht. Ich habe mir gestattet, den Titel für diese Wiederveröffentlichung anzupassen. Gerd Jüngling starb am 12. Oktober 2020 plötzlich und vollkommen überraschend. Damit hat unsere kleine Redaktion, vor allem Fritz Fey und ich, erinnert sei aber auch an unseren ebenfalls verstorbenen Freund und Mitstreiter Dieter Kahlen, nicht nur einen der ersten Unterstützer des Magazins, sondern auch einen wichtigen Ratgeber und Mentoren für immer verloren. Gerd Jüngling war nicht nur ein außergewöhnliches Talent, ich möchte an dieser Stelle ohne Zögern das Wort ‚Genie‘ in den Mund nehmen, auf dem Gebiet der analogen Audiotechnik, sondern er war auch ein besonderer Mensch. Es gab keinen Zeitpunkt, zu dem Gerd nicht ein offenes Ohr für unsere Fragen und Probleme gehabt hätte. Auf eine kleine Nachfrage zu einem technischen Detail bekam man bei ihm stets eine hochspannende ‚Vorlesung‘ in Audioschaltungen und Analogelektronik. Dabei sorgte Gerd stets dafür, dass man auch verstand, was er erklärte, hakte nach und erläuterte geduldig noch einmal, wenn man auf der Strecke geblieben war. Im Nachgang seines Todes habe ich viele Gespräche mit anderen Wegbegleitern geführt, die mir dies nahezu eins zu eins bestätigen konnten. Wie er es geschafft hat, sein Umfeld so zu ‚versorgen‘ und gleichzeitig noch erfolgreich herausragende Tontechnik auf die Welt zu bringen, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Seine Begeisterung für die Technik und auch für die Wissensvermittlung werden mir persönlich sehr fehlen. Ich erinnere mich lebhaft an die kurze Praktikumszeit, die ich bei ihm und seiner Prokuristin Rosemarie Berges in der Firma in Gladbeck verbringen durfte. Vielleicht eine der größten Lehrstunden meines Lebens – und so sei auch der neue Titel verstanden. Lassen wir Gerd also noch ein letztes Mal in ‚seinem‘ Studio Magazin zu Wort kommen.

Mit alteingesessenen Einwohnern der Studioszene trifft man sich zu merkwürdigen Zeiten. Also war es nicht weiter ungewöhnlich, im Kalender ein Gespräch mit Gerd Jüngling an einem Sonntagabend um 19:30 Uhr einzutragen. Gerd und mich verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft, die Mitte der siebziger Jahre begann und es hat tatsächlich auch nur vierunddreißig Jahre gedauert, bis wir einen passenden Termin für ein längst überfälliges Interview finden konnten. Gerd Jüngling ist der Chefdenker und Inhaber der Analogmanufaktur adt-audio und gehört zu den fähigsten Entwicklerköpfen, die dieser Planet in Sachen Studiotechnik zu bieten hat. Wenn man dies in seiner Anwesenheit auch nur ansatzweise erwähnt, winkt er bescheiden ab, denn, wie er sagt, macht er schließlich nur seinen Job, so gut er kann. Ich halte das für eine maßlose Untertreibung, aber Bescheidenheit ist schließlich nicht die einzige positive menschliche Eigenschaft, die in unserer Gesellschaft abhandengekommen ist. Seine Mischpulte bevölkern bis heute zahlreiche deutsche Tonstudios, auch wenn die Ära der analogen Großkonsolen definitiv vorbei ist. Heute liegt der Schwerpunkt seiner Entwicklungen auf bezahlbaren modularen 19-Zoll-Systemen, deren Funktionsbandbreite sich von konventionellen Kompressoren bis zu Spezialentwicklungen wie M/S-Equalizern, Niveau-Filtern oder Obertongeneratoren für Produktion und Mastering spannt, mit Reglern, deren Funktion sich manchmal erst nach einer längeren Erklärung vollständig erschließt, die aber zeigen, wie tief Gerd mit seinen Entwicklungsgedanken in die jeweilige Materie eintaucht – und die man selten bis gar nicht in anderen Gerätekonzepten vorfinden wird. Oft ist der fantasievolle Wunsch eines Anwenders die Grundlage für ein Gerät, das man in dieser Form nirgendwo anders kaufen kann.