Report: Sony 360VME Virtual Mixing Evironment

Die Emulation eines Regieraums über Kopfhörer ist inzwischen fast schon Standard. Ich kann mich daran erinnern, dass eine sehr günstige Software für etwa 30 Euro bereits vor rund fünfzehn Jahren meine Westlake-Lautsprecher simulierte. Ich war erstaunt, wie nah der Klang meinen Lautsprechern tatsächlich kam. Inzwischen gibt es viele Top-Studios, die auf Kopfhörern nachgebildet werden, meistens jedoch nur in Stereo. Seit einigen Jahren gibt es auch Tools, die 3D-Setups bieten, und zwar kanalbasiert (zum Beispiel 7.1.4), objektbasiert (zum Beispiel Dolby Atmos) sowie feldbasiert (zum Beispiel Ambisonics). Diese sogenannten Binauralisierer wandeln ein Lautsprechersignal (unabhängig von der Kanalzahl) in ein zweikanaliges, binaurales Kopfhörersignal um. Dadurch klingt es für uns, als würden wir die Lautsprecher im Raum lokalisieren, während wir über normale Kopfhörer hören. Binauralisierer verwenden immer Räumlichkeit, denn ohne diese funktioniert das dreidimensionale Erlebnis, die sogenannte Externalisierung, leider nicht. Das Problem dabei ist, dass sich dieser zusätzliche Raum zu dem Raum der Aufnahme addiert und somit den Klangeindruck der eigentlichen Aufnahme stört. Dieses Problem haben wir zwar auch, wenn wir in einem echten Raum über Lautsprecher hören. Da wir uns allerdings wirklich in diesem Raum befinden, stört das weniger. Die Philosophien der verschiedenen Hersteller bezüglich Räumlichkeit und vieler anderer Parameter der Binauralisierung unterscheiden sich allerdings stark voneinander. Die riesige Bandbreite an Räumen, Lautsprechern und HRTFs sorgt für Verwirrung, denn die Klangunterschiede sind enorm. In diesem Wust von Produkten mit jeweils extrem unterschiedlichem Sound die richtige Entscheidung zu treffen, ist schwierig. Was ist die Referenz?

Jeder Raum klingt anders. Jeder Lautsprecher klingt anders. Jeder Mensch hört anders. Um eine gewisse Vergleichbarkeit zu gewährleisten, haben sich in professionellen Tonstudios bestimmte akustische ‚Regeln‘ etabliert. Auf die Aufstellung der Lautsprecher und ihre Winkel zum Hörer konnten wir uns immerhin einigen, wenn auch nicht jeder dies einhält. Bei den Abständen zum Hörer wird es schon schwammiger. Hier achtet man darauf, dass die Lautsprecher an einem sinnvollen Punkt im Raum stehen, sodass die akustischen Probleme, die von den Raumdimensionen abhängen, minimiert werden. Diese variieren von Raum zu Raum. Je nach Form, verwendeten Materialien und Inhalt kann man sagen, dass es praktisch keinen Raum gibt, der einem anderen gleicht. Das Ziel besteht jedoch meistens darin, dass möglichst viel Direktschall vom Lautsprecher beim Hörer ankommt und die Klangfarbe des Raumes möglichst wenig ins Gewicht fällt. Eine völlige Abschirmung, wie in einem schalltoten Raum, wäre jedoch auch kein guter Ansatz, da dies auf Dauer nicht nur ungesund für uns ist, sondern auch alle anderen Menschen auf dieser Welt ihre Lautsprecher praktisch immer in Räumen hören. Trotzdem wird die Nachhallzeit gerne sehr kurz gehalten und stehende Wellen, Flatterechos und andere störende akustische Phänomene werden so weit wie möglich reduziert. Selbst wenn man sich auf viele Parameter eines optimalen Regieraums einigen könnte, sind die philosophischen und geschmacklichen Unterschiede zwischen Räumen und Lautsprechern doch so groß, dass die wenigsten Toningenieure ohne Weiteres in einem fremden Regieraum arbeiten könnten. Von einer allgemeinen Referenz sind wir immer noch ein Stück weit entfernt. Aufgrund unserer unterschiedlichen Arten zu hören, wird das auch immer so bleiben, denn Differenzen in unseren Empfindungen werden immer bestehen. Hören ist ein höchst subjektiver Vorgang, wie ich unlängst in einem Artikel ausführlich erläutert habe. Jeder muss anhand seiner eigenen Präferenzen den für ihn optimalen Abhörraum (und Lautsprecher) finden und lernen, in diesem Raum zu arbeiten. All die Produkte, die die Akustik der besten Studios der Welt simulieren, sind für diejenigen wertlos, die anders hören als die Schöpfer oder besser Nutzer dieser Räume. Hinzu kommt, dass man sich einhören und lernen muss, in einem gegebenen Raum zu arbeiten. Das bedeutet, dass es keine allgemeingültige Referenz geben kann, sondern nur die ganz persönliche. Unter dieser Prämisse bleiben die meisten Produkte, die eine Studioumgebung simulieren, wertlos, zumindest, wenn es darum geht, damit ernsthaft zu mischen oder zu mastern. Als alternative Abhöre zum eigenen Raum, um auch andere Blickwinkel zu erhalten, sind sie jedoch durchaus geeignet. Um aber wirklich sicher und ohne ständiges Gegenchecken arbeiten zu können, bedarf es einer individuellen Lösung. Im ersten Schritt, der zugleich der größte und schwierigste ist, braucht man eine Referenzregie, in der man sicher beurteilen kann. Im zweiten Schritt folgt die Nachbildung des eigenen (oder bevorzugten) Raumes, der eigenen (oder bevorzugten) Lautsprecher und der persönlichen (oder einer sehr ähnlichen) HRTF. Eines der wenigen Produkte, das dies zumindest annähernd bieten, ist Virtuoso von APL. Ich hatte es in einer früheren Ausgabe getestet und empfohlen. Eine weitere Möglichkeit ist der Smyth Realiser, der mit ca. 6.000 bis 7.300 Euro zu Buche schlägt, oder Okeanos Pro von Brandenburg Labs, das ebenfalls circa 6.000 Euro kostet, aber einen deutlich anderen Ansatz verfolgt. Abgesehen vom Preis sind diese beiden Lösungen hardwaregebunden und somit etwas 'komplexer' bei der Einbindung in das eigene System. Zusätzliche Kosten für Kabel und Wandler müssen ebenfalls einkalkuliert werden. Und was viele vergessen: Es werden auch hervorragende, möglichst lineare und offene Kopfhörer sowie ein sehr guter Kopfhörerverstärker benötigt. Immerhin reden wir bei Mixing und Mastering von Referenzqualität, die mit normalen Kopfhörern bisher kaum zu erreichen ist.