Echte Männer

Wenn man es genau betrachtet, muss man die Anfangsjahre der digitalen PCM-Technik als schweren Rückschlag für die Audioqualität betrachten – und es hat sehr lange gedauert, bis wir uns davon einigermaßen erholt hatten. Und selbst jetzt noch drehen sich die meisten Diskussionen nicht etwa um echte Fortschritte in der Digitaltechnik (die es de facto auch nicht geben kann), sondern kurioserweise darum, wie man seine Produktionen trotz Digitaltechnik zum Klingen bringt. Nun kann die Analogtechnik auch nicht wirklich für sich in Anspruch nehmen, den Fortschritt gepachtet zu haben, denn es ist ja alles irgendwie schon mal gebaut worden, eben nur noch nicht von allen und auch noch nicht von jedem in so guter Qualität oder zu einem bestimmten Preis. Wir sind jetzt technologisch gesehen bis an die Zähne bewaffnet und müssen uns trotzdem fragen, ob wir es in den letzen zwanzig Jahren in unserem Beruf wirklich besonders weit gebracht haben, wenn wir die Ereignisse einmal ausschließlich unter dem Aspekt der Audioqualität betrachten. Immerhin kann man nach einigen Verwirrungen wieder so etwas wie einen roten Faden erkennen, wie denn heute eine klassische Studioinstallation aussieht. Ohne Zweifel hat die digitale Audioworkstation einen zentralen Platz eingenommen und das Mischpult weitestgehend von seinem Sockel gestoßen, nicht überall, aber doch in vielen typischen Produktionshäusern und projektbezogen arbeitenden Studios. Man traut der DAW inzwischen eine Menge zu und sie bildet in der von ihr projizierten virtuellen Welt des Bildschirms mittlerweile auch jede (fast) Komponente eines Tonstudios ab. Trotzdem nehmen die Diskussionen um das richtige Front- oder Backend, wie man neudeutsch zu sagen pflegt, nicht ab, denn hier steckt noch Potential für einen besseren – genauer gesagt spannungsvolleren, reizvolleren, ausdrucksvolleren, individuelleren – Klang. Analoge Summierung ist in aller Munde, um das derzeit populärste Thema an erster Stelle zu nennen. Dem hat die Digitaltechnik derzeit noch nichts entgegenzusetzen, es sei denn, man möchte 500.000 Euro für ein Mischpult ausgeben. Die Männer, die uns die Segnungen vierzig Jahre oder – alternativ – vierzig Tage alter Schaltungen als Heilmittel gegen eine eindimensionale, frostige Digital-Infektion bescheren, tragen wahlweise dunkle Sonnenbrillen oder eine vornehme Blässe im klassischen Studio-Grau. Auf jeden Fall aber sind sie die letzen Abenteurer in unserer heutigen mit mathematischer Präzision errechneten Studioumwelt. In ihren Schaltungen fließt noch Strom – 30, 60, 120 Volt, sie arbeiten mit einem heißen Lötkolben, hier und da raucht oder brennt es, sie essen kalte Pizza, sind Raucher, einsame Cowboys und so mancher ‚Schaltungsfehler‘ hat sich schon als Objekt der Begierde für die Klangenthusiasten entpuppt. Vielleicht ist es ja gerade diese Unberechenbarkeit, die die Analogtechnik so sympathisch macht, denn sie ist uns damit ja nur allzu ähnlich. Für meine Begriffe ist der Austausch zwischen den Lagern der analogen und digitalen Fraktion seit der Einführung der Computertechnologie in das professionelle Audiogewerbe deutlich ins Stocken geraten. Wissen aus der Vergangenheit schien auf der einen Seite plötzlich nichts mehr wert zu sein, während man auf der anderen Seite im Gegenzug dem vermeintlichen Widersacher jegliche Kompetenz in Sachen Audio absprechen wollte. Computer-Kids gegen Marlboro-Männer. Ein groteskes Bild. Viele bereits lange existierende Funktionen mussten aus diesem Grund noch einmal neu erfunden werden, ein simpler Mangel an Kommunikation, viel wertvolles Know-how wurde lange Zeit nicht akzeptiert. So langsam aber kommen wir alle gemeinsam auf den Boden der Tatsachen zurück und die einst polarisierenden Lager entdecken Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte, ja sind sogar bereit, sich gegenseitig Vorteile zuzugestehen. Man redet wieder miteinander und das kann nur bedeuten, dass es voran geht, wenigstens auf unserem beschaulichen Pro-Audio- Planeten...

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